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In den Straßen hängen Sterne und Lichter. Die Weihnachtsbeleuchtung. Geschäftiges Treiben in der Stadt, fast eher ein Hetzen. Schnell noch… Geschenke besorgen, den Kaffee für´s Fest bestellen, im Delikatessengeschäft vorbeigehen.
In der Firma dasselbe: Meetings über Meetings… letzte Budgets „raushauen“, damit das Controlling Selbiges für´s kommende Jahr nicht kürzt, schnell noch beauftragen, im Schweinsgalopp genehmigen lassen, Rechnungen bezahlen, wieder Meetings, zwischendrin noch die Weihnachtsfeier, schnell ein paar Plätzchen, Wichteln im Büro – wegen der heimeligen Stimmung. Alles muss schnell gehen – schliesslich ist Jahresend-SPURT. Gerenne also.
Stille Zeit. Eine typische Situation zum Jahresende. Aber im nächsten Jahr – da wird alles anders! Besinnlich. Ganz in Ruhe. Ohne Hektik. Ja. Klar.
Wann eigentlich ist die Stille Zeit in ein hektisches Herumrennen ausgeartet? Und warum?
Die Stille Zeit – und was sie einst war
Im christlich geprägten Kulturraum wird die Adventszeit – vier Wochen und Sonntage (sehr viel früher waren es einmal sechs Wochen) ab Ende November bis zum Heiligen Abend – als „Stille Zeit“ bezeichnet. Wir bezeichnen gemeinhin die Stille Zeit als den Advent. „Adventus“ bedeutet „Ankunft“ – und damit ist die Ankunft Jesus Christus gemeint – bis zu welcher man sich in den vier Wochen davor vorbereitet.
Die Vorbereitungen bis zu Jesus Ankunft umfassten das Fasten, das In-sich-gehen und Reflektieren (u.a. Beten) und die Be-Sinnung bei Kerzenlicht.
Nun ist diese, im Ursprung sehr reduzierte und minimalistische, Stille Zeit, vor dem Großen Fest in der gesellschaftlichen Betrachtung vollends verloren gegangen. Und doch wird, zumindest von einigen Menschen, immer wieder (vergeblich) versucht, es im nächsten Jahr anders und wirklich „still“ zu gestalten. Wieso gelingt es nicht?
Kulturelles Phänomen der Un-Stillen Zeit
Ich bezeichne die „Stille Zeit“, die gar keine ist, als kulturelles Phänomen.
Das Entarten der „Stillen Zeit“ kann auch als Kulturanpassung betrachtet werden.
Ein Phänomen ist ja im Allgemeinen ein Ereignis oder eine Situation, die bemerkenswert oder außergewöhnlich ist. In diesem Fall ist das Phänomen für mich die Verwandlung der „Stillen Zeit“ von einer Periode der Ruhe und Besinnlichkeit zu einer Zeit mit extremer Hektik und Stress.
Was für mich in diesem Zusammenhang bemerkenswert ist, ist die „Verbiegung“ – ich mag fast von „Vergewaltigung“ sprechen – von kulturell wichtigen Feiertagen zu einem oberflächlichen Konsumfest. Gesellschaftlich gesehen wirkt dies wie ein Treten der kulturellen Werte.
Gleichzeitig könnte der Konsumrausch als Kulturanpassung gesehen werden, da dieses angepasste Verhalten einer Reaktion auf Veränderungen in unserer Gesellschaft und Kultur sind – einschließlich der Kommerzialisierung der Feiertage und der zunehmenden Betonung von Produktivität und Konsum.
Wann ist diese Änderung geschehen? Insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein riesiger Wandel vollzogen. Theoretisch könnte man sagen, daß Menschen an sich insgesamt oberflächlicher geworden sind – und durch die – dadurch (? Henne und Ei-Prinzip, was war zuerst da?) zunehmende Kommerzialisierung der Feiertage (durch die Firmen und Unterstützung der Medien) und den Druck, „das perfekte Weihnachtsfest“ zu feiern, hat die Stille Zeit einen stressigen, ja fast zwanghaften, Charakter angenommen.
Geschenke müssen besorgt, Festessen geplant und vorbereitet, Häuser dekoriert und Familientreffen organisiert werden. Alles MUSS perfekt sein – auch wenn man selbst danach völlig fertig auf der Couch vor sich hin vegetiert. Stichwort: Funktionsmodus.
In der Arbeitswelt hat sich ebenso ein ähnliches Muster entwickelt. Viele Unternehmen haben das Jahresende als Zeitpunkt festgelegt, um nicht nur Bilanz zu ziehen, Ziele zu erreichen und Pläne für das neue Jahr zu erstellen, sondern auch auf Teufel komm raus nicht genutzte Gelder herauszuwerfen, da das Controlling diese ansonsten für das kommende Jahr einfrieren würde.
Zusätzlich erfreut sich jeder unzähliger Weihnachtsfeiern – und kommt nicht zur Ruhe (denn jeden Abend ist eine andere…).
Eine Kultur – egal welche – ist wie ein Musterkoffer an Verhaltensweisen, Überzeugungen, Werten, Praktiken, Traditionen oder Aktivitäten zus sehen, der innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen gemeinsam sind und oft über Generationen hinweg weitergegeben werden. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Identität und des Erbes einer Kultur und können viele Aspekte des Lebens beeinflussen, einschließlich Kunst, Musik, Essen, Religion, soziale Normen und Interaktionen.
Kultur ist ein Spiegelbild kollektiver Erfahrungen, der Geschichte und Werte einer Gesellschaft. Sie können sowohl universell sein, das heißt, sie finden sich in vielen verschiedenen Kulturen (wie Hochzeitszeremonien oder Trauerrituale), als auch spezifisch für bestimmte Kulturen (wie bestimmte Feiertage oder kulturelle Feste).
Prof. Dr. Bolten, ehemals mein Professor im Interkulturellen Management, sprach von dynamischen Kulturen oder auch „fuzzy“ cultures (= vage, unscharf und nebulös), was die Grenzen von Kultur aufweicht. „Die“ Kultur gibt es nicht. Sie vermischen sich und können sich im Laufe der Zeit ändern, da Kultur an sich und Kulturen selbst eben nicht statisch sind, sondern sich ständig weiterentwickeln und auf Veränderungen in der Umwelt, Technologie, sozialen Strukturen und anderen Faktoren reagieren.
Dieses Phänomen des Jahresend-Hustles oder eben die Anpassung der Kultur ist also das Ergebnis und ein Spiegelbild unserer Hamsterrad- und leistungsorientierten Gesellschaft, in der Ruhe und Besinnlichkeit zu kurz kommen und Stress, Erschöpfung und Burnout an der Tagesordnung sind.
Jahresend-Chaos: Kommerzialisierung meets Konsumkultur
Die Kommerzialisierung der Feiertage und die vorherrschende Konsumkultur tragen erheblich zum Jahresendchaos bei. Die Feiertage sind zu einer Zeit des massiven Konsumierens geworden, beginnend mit dem völlig entarteten „Black Friday“, welcher den Start des Adventskonsums markiert, getrieben durch Werbung und gesellschaftliche Erwartungen. Das Streben nach dem perfekten Geschenk, dem perfekten Festessen oder der perfekten Dekoration kann viel Stress und Druck verursachen. Zudem führt die Konsumkultur oft zu finanziellen Belastungen, die zusätzlichen Stress verursachen können.
Kommerzialisierung ist eine Umwandlung, zum Beispiel eines Feiertages – in ein passendes Produkt oder eine Dienstleistung, die verkauft wird. Es gibt dann spezielle „Muttertagssträuße“, „Osterpakete“, „Weihnachtsspecials“. Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie Feiertage wie Weihnachten oder Ostern kommerzialisiert wurden. Was einst religiöse oder kulturelle Feierlichkeiten waren, sind heute oft große Einkaufsereignisse, bei denen Geschenke, Dekorationen, Mahlzeiten und andere Produkte massenhaft verkauft – und gekauft – werden. Dabei ging es doch mal um etwas ganz anderes… oder?
Die heutige Kultur – eine Konsumkultur, in der der Kauf und Besitz von Waren und Dienstleistungen einen hohen Stellenwert hat und als Zeichen von Status, Erfolg oder Glück angesehen werden. Hier werden Menschen dazu ermutigt bzw. von der Werbung regelrecht „angesprungen“, ständig neue und bessere Produkte zu kaufen. Zudem liegt der Fokus auf Marken und Trends.
Wer nicht das Neueste hat, ist raus. Das ist zum Beispiel bei Apple Produkten sehr gut sichtbar, da bei älteren Geräten die Updates nicht mehr greifen.
Ja, eine Konsumkultur kann tatsächlich als „Kultur“ bezeichnet werden, wenn man Kultur als einen Satz von Überzeugungen, Normen, Werten und Praktiken versteht, die eine bestimmte Gruppe von Menschen teilen.
Diese Überzeugungen sind hier auf den Konsum von Waren und Dienstleistungen ausgerichtet. Dazu gehören Überzeugungen über den Wert und die Bedeutung von Besitz und Reichtum, Normen über das, was als wünschenswert oder erstrebenswert gilt, und Praktiken wie Einkaufen, Werbung und Markentreue.
Kultur per se hat einen starken Einfluss auf das Verhalten, die Identität und die Lebensweise von Menschen. Sie beeinflusst, wie Menschen ihr Geld ausgeben, welche Produkte und Marken sie bevorzugen, wie sie ihre Freizeit verbringen und sogar, wie sie sich selbst und andere bewerten.
Welche Werte sind wichtig?
Welche Werte haben wir als Gesellschaft? Und welche Werte sind uns persönlich wichtig? Kann man das überhaupt auseinanderhalten?
Werte sind das, was Dein Verhalten steuert. Wenn innere Werte ganz klar sind, wir uns von innerer Sabotage nicht beeinflussen lassen, dann lebst Du Deine Werte. Ist Dein Wert zum Beispiel, immer ehrlich und klar zu kommunizieren, wirst Du dies tun – und den Ort oder die Person, mit der dies nicht möglich ist, wirst Du meiden.
Welche Werte also stehen in unserer Gesellschaft im Vordergrund?
In einem System, in welchem die Leistung und das „Haben von Dingen“ ganz oben auf der Chartliste stehen, werden Menschen auch dazu erzogen, Werte wie „produktiv sein“ – also „etwas machen“, und ebenjene Statusobjekte ganz oben als Werte stehen zu haben. Was uns in der Stillen Zeit dazu bringt, alles perfekt machen zu wollen. Was wir aber meist nicht merken, ist, wie gestresst und überfordert wir uns eigentlich mit all dem fühlen. Und daß in dieser eigentlichen stillen Zeit des Geniessens genau DAS zu kurz kommt: den Augenblick einfach nur zu geniessen.
Keine Geschenke, weil man „muss“ oder Abendessen, wenn man eigentlich lieber ganz allein auf der Couch liegen will – oder unperfekt durch den Wald stapfen möchte.
Die Stille Zeit – würden wir sie für uns als solche deklarieren und leben, würde von Innenschau, Reflexion, vielleicht Yoga, in der Natur spazieren…. und auch von Genuss alleine und zusammen mit lieben Menschen geprägt. Anstatt Ziele zu erreichen und in Hektik durch die Städte oder das Internet zu jagen, auf der Suche nach dem perfekten Geschenk, ist Innehalten und Dank für das, was wir bereits haben, genug.
Es ist genug.
Vielleicht ist das der alles prägende Satz. Es ist genug. Du bist genug. Du musst Dich nicht beweisen. Genug.
In diesem Sinne ist die „Stille Zeit“ vielleicht eine Gelegenheit, die eigenen Werte zu überdenken. Schauen, was uns wirklich wichtig ist, wie wir leben und zukünftig leben wollen.
Beide Phänomene – die Kommerzialisierung und die Konsumkultur – haben massive Auswirkungen auf uns als Individuen und die Gesellschaft. Sie erhöhen Druck und Stress und auch finanziell kann dieser Druck zu erheblichen Belastungen (Gehöre ich ohne Geschenk noch dazu?) führen.
Es ist immer möglich, bewusste Entscheidungen zu treffen und sich nicht von einem Phänomen mitreißen zu lassen. Es liegt an Dir selbst, zu entscheiden, was Feiertage für Dich sind, wie Du sie gestalten möchtest, welche Traditionen Du beibehalten willst und wie Du Deine Ressourcen (Geld, Zeit, Energie) verwendest.
Insgesamt ist das Jahresendchaos ein komplexes Phänomen. Es ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.
Und Du – als einzelne Person – hast es in der Hand, das Spiegelbild zu verändern.
Ich bin gerne an Deiner Seite.
Frohe Stille Zeit, Christine.
Hallo liebe Christine,
genau deswegen hab ich immer zwei Wochen Urlaub in der Adventszeit . Kann ich nur jedem empfehlen. Das ist meine Zeit…
Liebe Grüße
Sabine
Liebe Sabine.
Lieben Dank für Dein Teilen!
Das ist genau richtig und perfekt: Die Stille Zeit zu nutzen, wirklich als „stille“ Zeit.
Ich freue mich für Dich und wünsche Dir eine ganz zauberhafte Zeit für Dich.
Liebe Grüße,
Christine