Ene mene muh – und raus bist Du!

Elf Jahre ist sie alt, das Mädchen mit den blonden Zöpfen. Es ist Sportunterricht. Sie trägt ein neues T-shirt, welches ihr Onkel ihr -als Sportdirektor in Koblenz – mitgebracht hat. Sie setzt sich zu den anderen Kindern auf den Boden der Turnhalle. Die Lehrerin erläutert gerade den Plan für die Sportstunde, als sie stoppt.

Bohrende Augen richten sich auf das Mädchen, gefolgt von einem Zeigefinger: „DAS ist Dreck in meinen Augen! Raus hier!“ Alle Augen sind auf sie gerichtet. Ihr T-Shirt ist gemeint. Es steht etwas von VfB Stuttgart drauf.

Sie ist der Stunde verwiesen worden. Mit einem Tadel und Verweis. Die Klassenlehrerin wird ihr später sagen, daß sie aufpassen muss, weil sie ansonsten nicht in die Erweiterte Oberschule – die Schule für das spätere Abitur – aufgenommen wird.

1983. In Ost-Berlin. In der DDR. Das kleine Mädchen – das war ich.

Dysfunktionale Systeme foerdern Ausgrenzung

Dinge anders machen als alle anderen – wurde nicht gut geheißen. Kritik wurde bestraft. Anders Sein war keine Option. Damals, in der DDR. Und auch wenn dieses Land aus Kontrolle und Gleichschritt bestand, ist es für mich im Nachhinein ein Ausdruck für viel tiefer liegende Themen, die im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden müssen.

Die DDR an sich – oder das „System DDR“ war nur ein Symptom für folgende Thematiken:

  • Kontrolle als Ausdruck von Angst
  • Manipulation, Abhören und Ausgrenzung als Ausdruck eines dysfunktionalen Systems
  • Kranke Systeme als Folge traumatisierter Menschen und generationsübergreifender Traumatisierung

Wie aber passiert so etwas? Wieso wollen Menschen andere Menschen kontrollieren? Was haben sie davon? Und wieso greift niemand ein?

All diesen Fragen widme ich mich schon lange. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, wieso ich meine Arbeit auf Grundlage des Denkens in Systemen – also quasi aus der Vogelperspektive heraus – aufgestellt habe.

Das, was „damals im Osten“ passierte, hat nichts mit „dem Osten“ an sich zu tun. Sondern mit einer tiefliegenden psychischen Thematik, die sich meist in kaputten (= dysfunktionalen) Dynamiken zeigt und ausdrückt. „Es“ passiert auch heute. Im Kleinen (in Familien/Freundschaften/mit Bekannten/in Firmen…) und im Großen. Das System ist dasselbe: Kontrolle.

Kontrolle ist ein Mittel, sich mächtig zu fühlen – wenn auch nur zum Schein

Tatort: Unternehmen

Tatsächlich ist dies der Ort, an dem sehr oft Macht und Kontrolle ausgeübt wird. Nehmen wir einen Manager. Er wurde in die Position berufen, weil er seinen Vorgesetzten aus früheren Zeiten kennt und dieser jemanden im Team haben will, der keinen Ärger macht. Den Aufstieg im Unternehmen – um jeden Preis – nimmt dieser Mensch natürlich mit: schliesslich bedeutet das mehr Geld, einen Firmenwagen und vor allem: Status! Er ist (endlich) WER. (Scheinbar).

Dieser Mensch fühlt sich aber eigentlich unsicher in seiner Position. Er hat noch nie Menschen geführt, das Thema ist ein Neues und eigentlich will er seine Ruhe. Jetzt kommt der Druck aber von den höheren Führungsebenen. Und da sind auch noch Mitarbeiter, die etwas von ihm wollen. Kommunikation, Strategie und Unterstützung.

Alles zu viel. Um seine Unsicherheit zu kompensieren und ein Gefühl von Macht und Kontrolle zu erzeugen, fängt er an, seine Mitarbeiter, die Experten auf ihrem Gebiet sind, mit langjähriger Erfahrung, mikrozuverwalten. Micromanagement. Er beginnt, jeden Aspekt ihrer Arbeit zu kontrollieren, von der Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erledigen, bis hin zu den Pausenzeiten. Er will ständig Feedback geben, auch wenn es nicht notwendig ist, beginnt, sich in die Themen einzumischen, obwohl er die Zusammenhänge nicht kennt und beginnt, die persönlichen Grenzen seiner Mitarbeiter zu überschreiten.

Die, die auch Status wollen, kooperieren mit ihm, und machen vordergründig „Gut Wetter“. Die anderen meiden ihn. Und werden gleich abgestraft.

Dies gibt ihm das Gefühl der Kontrolle über seinen Job und das Team. Es ist eine Scheinmacht, denn im Untergrund brodelt es. Die Moral im Team lässt nach, Arbeit nach Vorschrift und Überstunden bei denen, die ihm nach dem Mund reden. Die Schere wird immer größer. Tür und Tor zu Mobbing und Bossing sind gelegt.

Das „Zeichen von Macht“ ist in Wahrheit ein Zeichen von tiefer Unsicherheit und Angst.

Und diese liegt meist in diesem Menschen selbst. Oftmals sind es Menschen, die sich in ihrer eigenen Geschichte als Kind oft hilflos und ohnmächtig gefühlt haben – und es nun allen „zeigen wollen“ („endlich Macht!“). Leider ist ihnen dieser Mechanismus nicht bewußt und deshalb bekommen sie vielleicht zwar Führung übertragen, haben diese aber aus sich selbst heraus nie selbst entwickelt.

Das heißt: sie haben die Fähigkeit, sich selbst zu führen nie entwickelt – und können deshalb auch nicht andere Menschen führen. Da sie dies innerlich zwar irgendwie spüren, aber nicht greifen können, löst dies noch einmal mehr ihre eigene tiefe Unsicherheit aus, die sie mit Kontrolle und Machtdemonstration in den Griff bekommen wollen.

Das, was sie gelernt haben, um zu bekommen, was sie wollen, ist: Manipulation.

Und damit beginnt – ein erst ungesunder – und dann toxischer Kreislauf.

Ausgrenzung ist ein „Tool“ der Kontrolle

Es passiert langsam und schleichend. Es passiert, wenn eine Person nicht das tut, sagt oder denkt, wie der Großteil einer Gruppe von Menschen. Dann ist er oder sie „die Andere/der Andere“ oder „der Aluhutträger“, die „Schlafschafe“ etc.

Was passiert da letztlich?

Eigentlich ganz einfach: Derjenige, der „anders“ denkt, bedroht die Gruppe. In Zeiten des Mammuts war es wichtig, zusammenzuhalten. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist nach wie vor „in uns drin“ – tief in unserem ältesten Teil des Gehirns eingebrannt. „Droht“ Gefahr – springt dieser Teil unseres Gehirns an.

Dabei ist es egal, ob „reale“ Gefahr – durch das Mammut, droht oder ob jemand aus der Gruppe eine andere Meinung hat.

Gut ist, wenn man selbst in der Lage ist, dies bei sich zu reflektieren. Was ansonsten nämlich passiert, ist:

  1. Diskriminierung durch Vorurteile und Stereotypen: Menschen neigen dazu, Vorurteile und Stereotypen gegenüber anderen Menschen oder Gruppen zu haben, die sie als „anders“ wahrnehmen. Dies führt zu Ausgrenzung.
  2. Angst vor dem Unbekannten: Menschen fühlen sich oft von dem bedroht, was sie nicht kennen oder verstehen. Dies kann dazu führen, dass sie diejenigen ausgrenzen, die anders sind oder anders denken.
  3. Macht und Kontrolle: Ausgrenzung ist ein Mittel, um die Macht und seine vermeintlich bedrohte Kontrolle wieder zu erlangen oder zu behalten. Indem bestimmte Gruppen marginalisiert werden („die Ungeimpften“), können andere ihre Position stärken.
  4. Soziale Normen und Werte: In einigen Gemeinschaften gibt es starke Normen und Werte, die das „Anderssein“ nicht akzeptieren. Dies führt dazu, dass diejenigen, die nicht diesen Normen entsprechen, ausgegrenzt werden.
  5. Ressourcenknappheit: In Situationen, in denen Ressourcen knapp sind (z.B. Wasser), kann Ausgrenzung als Mittel zur Sicherung von Zugang und Vorteilen dienen.
  6. Geschichte von Konflikten oder Traumata: In Gemeinschaften, in denen es individuelle und gemeinsame Geschichten von Konflikten oder Traumata gibt, dient Ausgrenzung als Selbstschutzmechanismus der Gruppe.

Ausgrenzung hat viele Gesichter

… und diese sind nicht nur verstörend und machen Menschen krank, sondern sie sind auch illegal. Und: was am Erschreckendsten ist: diejenigen, die andere ausgrenzen, werden meist noch von ihrer Gruppe unterstützt – und so wird vorsätzlich Stimmung gegen „andere“ gemacht – und der „Angreifer“ wähnt sich im „Recht.

Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Was aber genau heißt es, ausgegrenzt zu werden?

  • Ignorieren oder Ausschließen: Menschen werden nicht in Gespräche, Aktivitäten oder Entscheidungsprozesse einbezogen.
  • Unterbrechen oder Übergehen: Die Meinungen oder Beiträge einer Person werden ständig unterbrochen oder übergangen.
  • Abwertung: Die Fähigkeiten, Beiträge oder Eigenschaften einer Person werden ständig herabgesetzt oder entwertet.
  • Isolation und Ghosting: Eine Person wird physisch oder sozial von der Gruppe isoliert.
  • Mobbing oder Belästigung: Ein Mensch wird regelmäßig schikaniert, belästigt oder eingeschüchtert.
  • Diskriminierung: Eine Person wird aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, ihrer Behinderung oder anderer persönlicher Eigenschaften unfair behandelt.
  • Verbreitung von Gerüchten oder Fehlinformationen: Es werden falsche Informationen oder Gerüchte über jemanden verbreitet, um dessen Ruf zu schädigen.
  • Entzug von Ressourcen oder Möglichkeiten: Menschen werden absichtlich von Ressourcen oder Möglichkeiten ausgeschlossen, die für ihre Arbeit, ihr Lernen oder ihr Wohlbefinden wichtig sind.
  • Verweigerung von Unterstützung oder Hilfe: Jemand wird absichtlich von der Unterstützung oder Hilfe ausgeschlossen, die er benötigt.
  • Körperliche Gewalt oder Drohungen: Jemand wird körperlich angegriffen oder bedroht.

In den meisten Social Media Posts lese ich etwas von „Zusammenhalten“ und „Diversifizität“. De Wenigsten aber leben, was sie da sagen, meist unbewusst. Da werden zum Beispiel schwarzhäutige Menschen im eigenen Lebenskonzept inkludiert, aber Menschen mit einer Behinderung unbewusst nicht (usw.).

Fakt ist aber: Jedes Lebewesen IST. Punkt. Und jedes Lebewesen ist anders. Und jedes Lebewesen hat das Recht, in einer sicheren und respektvollen Umgebung zu leben.

Hurt people: hurt people – Glaubenssätze, Verletzungen und dysfunktionale Systeme

Warum aber Umgebung oftmals nicht sicher – und sehr oft noch nicht einmal respektvoll ist, liegt in erster Linie an der unbewusst gefühlten Angst „vor dem Fremden“. Das ist in uns einprogrammiert: die gleichartige Gruppe gegen „das Fremde“. Das hat uns das Überleben in grauer Vorzeit gesichert. Das ist fest auf unserer Festplatte (Stammhirn = ältester Teil unseres Gehirns) eingebrannt.

Wenn wir uns dessen nicht bewußt sind (Spoiler: sind wir meist nicht!), dann übernimmt dieser Teil unseres Gehirns im Autopilot.

Was noch dazukommt, sind Glaubenssätze, die wir mitbekommen haben und vielleicht auch eigene Wunden und Traumatisierungen, die uns unbewusst steuern.

Klassiker an Glaubenssätzen (und auch sehr stereotypisiert) bezüglich andersartiger Menschen sind zum Beispiel:

  • „Schwarze Menschen sind schmutzig.“
  • „Weisse Menschen sind intelligenter als andere.“
  • „Frauen sind emotionaler als Männer.“
  • „Menschen, die nicht an Gott glauben, haben keine Moral.“
  • „Homosexualität ist unnatürlich.“
  • „Menschen mit Behinderungen sind weniger produktiv bei der Arbeit.“
  • „Reiche Menschen sind korrupt.“

Sind uns diese inneren eigenen Prägungen und Muster nicht bewußt – dann steuern sie uns, unser Denken, unsere Taten und unser Leben.

Haben wir selbst ausgrenzende Erfahrungen in unserem (frühen) Leben machen müssen, die wir selbst nie reflektiert und aufgearbeitet haben, dann schleppen wir vielleicht noch Rachegefühle und Groll (= Wunden) mit uns herum. Und auch diese wiederum… steuern uns dann oft. Der Andere muss es dann büßen.

Nicht umsonst heisst es: Hurt people – hurt people. Verletzte Menschen – verletzen Menschen.

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, muss ich (mir selbst – und anderen) bewusst werden. Bewusst in meinem Tun. In meinem Denken. Reflektieren. Dann kann ich den ungesunden Kreislauf – und die Weitergabe dieser ungesunden Denk- und Verhaltensweisen an meine Kinder und meine Umgebung stoppen.

Warum passiert Ausgrenzung - Systemisches Coaching  und Trauma-Therapie Christine Rudolph

Der, der den ungesunden Kreislauf durchbricht, wird meistens geächtet – denn er bedroht das (ungesunde) System.

Christine Rudolph, EMDR-Therapeutin, Systemischer Coach, Traumatherapeutin, Paartherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie

Wenn das Rad stoppt, kann ich etwas ändern. Erst dann. Vorher läuft es einfach immer weiter. Das Erkennen und Stoppen von ungesunden Mustern, das sehe ich als unser aller Hauptaufgabe im Leben. Damit Heilung und Frieden einkehren kann.

Kranke und dysfunktionale Systeme: Geheimnisse und fiese Spielchen

Was passiert, wenn „das Rad immer weiter läuft…?“

Die ungesunde Dynamik verfestigt sich immer weiter. Ich vergleiche das immer mit einer Traktor-Spur, die bei Regen immer tiefer wird. Auch im trockenen Zustand ist dies die bevorzugte Spur (das bevorzugte Muster), in welches wir immer wieder hineintappen. Niemand würde daran denken, eine neue feine Spur durch den Dschungel zu nehmen, wenn eine breite und gut ausgetretene (einfache!) Spur existiert.

Ein System kann als „krank“ oder dysfunktional betrachtet werden, wenn es negative Auswirkungen auf die Menschen in diesem System hat und diese negativen Auswirkungen nicht effektiv adressiert oder behoben werden. Wie zum Beispiel…

  • Ständige Konflikte und Spannungen: Wenn Konflikte und Spannungen zur Norm werden und nicht effektiv gelöst werden (können) bzw. es gar nicht gewollt wird (meist unbewusst).
  • Keine oder schlechte Kommunikation: Ist eine Beziehung oder ein „System“ gesund, gibt es offene, ehrliche und effektive Kommunikation. Wenn Kommunikation aber unterdrückt wird, wenn Missverständnisse und auch Fehlinformationen an der Tagesordnung sind, dann stimmt etwas nicht.
  • Ungerechtigkeit und Ungleichheit: Wenn bestimmte Menschen systematisch benachteiligt werden oder wenn es erhebliche Ungleichheiten in Bezug auf Macht, Ressourcen oder Chancen gibt.
  • Starre und Unflexibilität, keinerlei Veränderung gewünscht: Gesunde Systeme sind in der Lage, sich an Veränderungen anzupassen und zu lernen und zu wachsen. Ist ein System starr und unflexibel, reagiert nicht auf neue Herausforderungen oder Informationen, dann ist der Wurm drin.
  • Schädliche Normen und Verhaltensweisen: Wenn schädliche oder destruktive Verhaltensweisen und Normen akzeptiert oder gefördert werden.
  • Fehlende Unterstützung und Fürsorge: In gesunden Systemen fühlen sich Menschen unterstützt und gepflegt. In ihrem ureigenen Sein gesehen und gefördert. Fehlt dies, ist das eine der höchsten Alarmstufen.

„Krank“ ist in diesem Kontext eine Metapher für dysfunktionale schädliche Verhaltensweisen, die als „normal“ gelten und oftmals sogar gefördert werden.

Der berühmte Teppich oder: Dinner for One, für alle

Dinner for One – für alle. Nur, daß da kein Tigerkopf liegt, über den gestolpert wird, sondern der ganze Berg an nicht angesprochenen Themen.

Das „Unter den Teppich kehren“ von Konflikten ist ein Hauptmerkmal von dysfunktionalen „kranken“ Systemen. Der Teppich findet sich in Familien, in Paarbeziehungen, in Freundschaften, sogar in Staaten und Gesellschaften. Hier sind die zugehörigen Punkte:

  • Unehrliche Kommunikation: Themen und Probleme werden nicht offen und ehrlich angesprochen. Effekt: Missverständnisse, Frustration und weitere Konflikte.
  • Konfliktvermeidung: Bloss nicht den Tiger im Raum wecken… Konflikte sind in jedem Miteinander und in jedem System unvermeidlich. In einem gesunden System ist es die Gelegenheit zu Wachstum bei konstruktiven Gesprächen. Das Vermeiden von Konflikten kommt meist aus gelerntem Verhalten und Angst.
  • Die heisse Kartoffel oder: Fehlende Verantwortung: Konflikte werden ignoriert, unter den Teppich gekehrt, die heiße Kartoffel fliegt von einem zum anderen. Hier fehlt es an Verantwortung und konstruktivem Verhalten. Schädliches Verhalten wird nicht adressiert und der (erst innere) Konflikt wird immer größer (bis er Sicht- und fühlbar wird).
  • Unterdrückung von Bedürfnissen: Das Unter-den-Teppich-Kehren von Konflikten kann dazu führen, dass Bedürfnisse und Äußerungen bestimmter Personen unterdrückt werden. Des lieben Frieden willens. Unzufriedenheit, mangelnde Motivation (wozu eigentlich?) und Entfremdung von sich selbst sind einige der Folgen.

Generationsübergreifende Traumatisierung

Dysfunktionale Systeme entstehen sehr oft als Folge von Traumatisierung. Gemeint sind bewußte oder unbewußte Verletzungen im Entwicklungsalter (Entwicklungstraumata) und/oder Traumata, die durch Umwelteinflüsse (wie zum Beispiel Krieg) „passiert“ sind (Schocktraumata).

Aus der Forschung heraus weiß man, daß Traumata nicht nur diejenigen beeinflussen, die den Schock und den Schmerz direkt erfahren haben, sondern auch die, die in den Generationen danach kamen (transgenerationale weitervererbte Traumata).

Man spricht von vier – und sogar von bis zu sieben Generationen!, die dieses Trauma noch mit sich (er)tragen. Meist natürlich völlig im Unwissen.

Und genau hier wird es gefährlich: wir geben alten Schmerz und dysfuinktionale Verhaltensweisen unbewußt immer weiter… (das sich drehende Rad…). Deshalb ist es so eminent wichtig, sich selbst bewußt zu werden und die Thematiken anzusehen, zu bearbeiten und damit: das ungesunde Rad zu stoppen!

Aber wer macht das schon? Vor allem, wenn er/sie gar nichts davon weiß?

Und dann, wenn Coaching und Therapie „verschrien“ sind?

Genau hier liegt der Schlüssel!!! Genau hier.

Denn wir geben diese Dinge nicht nur an die nächsten Generationen weiter, sondern wir tragen diese Themen auch in Firmen, Beziehungen etc. Also auf das nächstgrößere Level!

Das nächstgrößere Level beginnt – aus der unbewußten Thematiken heraus – Streit. Eskalation. Krieg. Das „alte Spiel“ von Schuldzuweisung, Ausgrenzung, Missbrauch.

Das sind Traumafolgen!!!

Unbewußte Antreiber, die uns steuern. Unbewußte Muster, die Beziehungen sabotieren. Unbewußte Spielchen, die als machtvoll erlebt werden.

Ein Beispiel für ein traumatisiertes System könnte eine Familie sein, in der über Generationen hinweg Missbrauch oder Vernachlässigung – vielleicht wiederum durch Kriegserfahrungen in der Generation davor und des hohen Levels an damit verbundenem Stress – stattgefunden hat.

In solch einem System haben Menschen Verhaltensweisen und Überzeugungen entwickelt, die auf die Bewältigung von Traumata ausgerichtet sind, anstatt auf gesundes Wachstum und Entwicklung. Dies zeigt sich in Form von dysfunktionalen Beziehungen, mangelnder emotionaler Intimität, Suchtverhalten, Gewalt oder anderen schädlichen Verhaltensweisen.

Die Auswirkungen dieses Traumas können auch auf die nächste Generation übertragen werden, selbst wenn die ursprünglichen traumatischen Ereignisse nicht wiederholt werden. Dies geschieht oft durch Verhaltensmuster und Überzeugungen, die von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden, und kann dazu führen, dass das Trauma „transgenerational“ wird, d.h. es wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Traumatisierte Systeme sind, wie beschrieben, nicht auf Familien beschränkt. Sie spinnen sich – wie ein unsichtbares Spinnennetz – in und um Organisationen, Unternehmen und Gesellschaften.

Ausgrenzung durch Traumatisierung

Traumatisierte Unternehmenssysteme sind undurchsichtig, gewaltvoll und starr

Denn sie folgen einem unsichtbaren „Konzept“, auf der Basis unaufgelöster Erfahrungen der einzelnen (meist unbewußten) Menschen. Da werden zum Beispiel durch starre Strukturen alte Machtthemen (aus der eigenen Familie) auf´s Tablett gebracht. Menschen, die Erfahrungen mit Macht oder Ohnmacht gemacht haben – und dies nie reflektiert haben, werden in ihre „alten Rollen“ automatisch hinein placiert. Das (alte) Spiel beginnt. Wieder. Von Neuem.

Ein konkretes Beispiel ist ein mittelständisches Unternehmen, von einer Familie über mehrere Generationen hinweg geführt. Die Spezialisierung liegt auf der Herstellung von Spezialmaschinen mit starker Marktstellung. Allerdings: das Betriebsklima ist mega-angespannt und die Mitarbeiter sind oft frustriert und demotiviert, oft krank oder machen einfach einen 9-5-Job.

Die Unternehmensführung liegt fest in den Händen der Gründerfamilie. Es gibt klare Hierarchien und wenig Raum für neue Ideen oder Veränderungen. Die Führungskräfte verhalten sich oft autoritär und es gibt kaum Möglichkeiten für Mitarbeiter, Feedback zu geben oder Veränderungen vorzuschlagen.

Einige Mitarbeiter haben in der Vergangenheit versucht, Veränderungen anzustoßen, wurden aber entweder ignoriert oder sogar bestraft. Daher haben viele aufgehört, sich einzubringen und fühlen sich ohnmächtig. Manche haben schon gekündigt.

In diesem Unternehmen werden also alte Machtstrukturen aus der Gründerfamilie aufrechterhalten, die zu einer starren und gewaltvollen Unternehmenskultur führen. Mitarbeiter, die in ihrer eigenen Familie ähnliche Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht gemacht haben, finden sich in ihren alten Rollen wieder und das Spiel beginnt von Neuem.

Diese Situation kann als traumatisiertes Unternehmenssystem bezeichnet werden, da die unaufgelösten Erfahrungen der einzelnen Menschen auf das gesamte System übertragen werden und zu einer undurchsichtigen, gewaltvollen und starren Unternehmenskultur führen.

Aus meiner langjährigen Erfahrung, auch mit meinen Klienten, kann ich sagen, daß solche Konstrukte keine Ausnahme sind. Im Gegenteil: Ich schätze min. 80% der Unternehmenslandschaften als traumatisch ein. Dabei ist natürlich auch der Landeskontext einzubeziehen: Welches Land ist durch welche Kriege/Gewalterfahrungen/Traumata etc. gegangen? Wurden diese Erfahrungen jemals gesund aufgearbeitet, sowohl gesamtgesellschaftlich, als auch individuell?

Und natürlich: Das Spinnennetz webt sich um traumatisierte Individuen, Beziehungen, Familien, Unternehmen und Länder. Es macht von alleine nicht Halt. Und es ist auch nicht „weg“, wenn das Geschehene unter den Teppich gekehrt wird.

Es ist immer da.

Bis einer den Stopp reinhaut. Bewusstwerdung. Auch im Unternehmens- und (interkulturellen) Länderkontext.

Gesunde Systeme sind transparent, wertschätzen Menschen und holen das Beste aus ihnen heraus

Sind Systeme dann jemals „gesund“, wenn alle Menschen – mehr oder weniger – traumatisiert sind und alte Verletzungen mit sich herumtragen?

Die Frage ist tiefgründig und wirft wichtige Punkte auf. Es ist wahr, dass viele Menschen in ihrem Leben Traumata und Verletzungen erleben. Diese Erfahrungen können sich auf verschiedene Arten auf unsere Beziehungen, unser Verhalten und unser Schaffen und Schöpfen von Dingen auswirken.

Ein „gesundes“ System – sei es ein Unternehmen, eine Familie oder eine Gemeinschaft – ist nicht unbedingt eines, in dem niemand traumatisiert ist. Stattdessen könnte es als ein System definiert werden, in dem es Mechanismen gibt, um mit Traumata und Verletzungen umzugehen. Dies kann durch offene Kommunikation, Unterstützung und Ressourcen zur Heilung, sowie durch Strukturen, die Machtungleichgewichte minimieren und Respekt und Mitgefühl fördern, erreicht werden.

Ebenso ist es auch wichtig zu beachten, dass nicht alle Menschen, die Traumata erlebt haben, diese ungelöst in sich tragen. Viele Menschen arbeiten aktiv an ihrer Heilung und können ihre Erfahrungen nutzen, um Empathie und Verständnis für andere zu fördern.

In einem gesunden System können Menschen mit traumatischen Erfahrungen eine Rolle spielen, indem sie dazu beitragen, das Bewusstsein für diese Themen zu erhöhen und Unterstützung für andere bereitzustellen. So kann ein gesundes System selbst dann bestehen, wenn seine Mitglieder traumatisiert sind. Es geht darum, wie das System mit diesen Traumata umgeht und ob es Raum für Heilung, Wachstum und Veränderung bietet.

Ein System kann als „gesund“ betrachtet werden, wenn:

  • Es effektive – einfache direkte – Kommunikation gibt, die offen, ehrlich und transparent ist.
  • Konflikte konstruktiv und rechtzeitig gelöst werden.
  • Alle Menschen fair behandelt werden und gleiche Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen und Chancen haben.
  • Es Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in Bezug auf Veränderungen und neue Herausforderungen gibt.
  • Positive Verhaltensweisen gefördert werden, die das Wohlbefinden und die Entwicklung der Mitglieder unterstützen.
  • Es eine starke Unterstützungs- und Fürsorgestruktur gibt, die die Bedürfnisse aller Personen berücksichtigt.
  • Es gibt eine Kultur des Respekts, der Wertschätzung und der Anerkennung.
  • Menschen übernehmen ihre Verantwortung und lösen aktiv ihre Themen.
  • Menschen fühlen sich gehört, gesehen und wertgeschätzt.
  • Das System ist in der Lage, zu lernen, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.

Ich arbeite mit viel Freude im Coaching und auch im therapeutischen Kontext mit Privatpersonen, im Mentoring von Menschen in Führung, in der Beratung von Unternehmen genau an solchen Themen – und freue mich, Menschen und Unternehmen zu begleiten. Ein kurzes Vorgespräch – und wir schauen, ob´s passt.

Herzlich, Christine