“Ich mache alles für meinen Mann”… sagte meine Klientin. Immer wieder. Retter-Modus: ON – und ihr nicht bewußt.

Es war ihr besonders wichtig, daß das Umfeld sie als “gut” wahrnimmt. Daß sie ein hilfsbereiter Mensch ist. Und daß man sie dafür schätzt. Sie war vollständig gefangen darin, etwas für andere zu tun.

  • Ihrem Mann den Rücken freihalten? Selbstverständlich.
  • Für den Schulnachmittag ihrer Tochter backen? Natürlich!
  • Plätzchen für alle Nachbarn und alle Eltern der anderen Kinder – verschiedene Sorten: klar!
  • Einkaufen gehen für die ältere Dame im Haus? Ehrenwort.
  • Die Wohnung vom Sohn jede Woche putzen und Wäsche waschen? – Das macht man doch so als Mutter!
  • Ungefragt Überstunden übernehmen? – Keine Frage!

Die Liste ist lang… und natürlich nur ein Beispiel dessen, was sie ungefragt und un-hinterfragt über Jahre übernommen hat. Das ist “ganz automatisch” passiert – so wie schon immer in ihrem Leben.

Sie möchte es (allen) anderen recht machen

Das “liebe Mädchen” sein. Die, die alle mögen. Die immer hilft. Immer da ist. Das ist das, was – gesellschaftlich gesehen – als “gut” eingeordnet wird: immer helfen. Immer da sein. So wurde es dem einst kleinen Mädchen (und auch den Jungen) mitgegeben. Nützlich sein. Sich unabkömmlich machen. Hilfsbereit.

Trauma-Adaption-Rettermodus

Hallo Retter-Modus: Willkommen im Drama-Dreieck

Sich unabkömmlich zu fühlen und immer für andere da zu sein, sieht zwar gut aus – ist es aber nicht.

Was hier eine Rolle spielt, ist der sogenannte “Retter-Modus” aus dem Dramadreieck.

Das Dramadreieck ist ein psychologisches Modell für (ineffektive) menschliche Interaktion und kommt aus der Transaktionsanalyse. Das Modell wurde von Stephen Karpman beschrieben. Dr. med. Eric Berne, der Vater der Transaktionsanalyse, hat es beschrieben mit “Die Spiele der Erwachsenen“: Welcome to the “show.”

Der Retter-Modus ist umgangssprachlich auch als “Helfer-Syndrom” bekannt (dieses Wort wurde durch den Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer geprägt).

Im Dramadreieck gibt es generell drei verschiedene Positionen, die entweder von zwei oder mehreren Menschen eingenommen werden können (wenn man nicht aufpasst!).

  • Den Täter: er “tut” etwas (meist von “oben herab”)
  • Das Opfer: leidet unter dem Täter
  • Der Retter: ist immer und ungefragt zur Stelle

Um diese Dynamik vorstellbarer zu machen: Das klassischste Dramadreieck ist die Affäre. Einer geht fremd (= Täter) und betrügt den Partner (= das Opfer) mit der Geliebten ( = Retter).

Grundsätzlich wechseln die Positionen in der Interaktion mit anderen Menschen und wir können wahlweise die Position des Retters, des Täters und des Opfers einnehmen. Allerdings hat jeder Mensch eine sogenannte “Lieblingsposition” – also die, die ihm seit Kindesbeinen an besonders vertraut ist. Diese nimmt er oder sie besonders gerne ein.

Wir konzentrieren uns hier auf die Position des (edlen?) Retters.

Er – oder sie – ist vollautomatisch auf Helfen ausgerichtet. Vollautomatisch deshalb, weil dieses Verhalten einen Automatismus darstellt – also ohne zu Reflektieren oder zu Denken. Man macht es einfach. Immer.

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Aber warum?

Die darunter liegende Dynamik des Retters und des Helfens ist die Dynamik, dadurch Anerkennung zu bekommen – und einer möglichen Ablehnung durch andere Menschen zu entkommen. Positioniere ich mich als Retter – bin ich stets gern gesehen. Und meine darunterliegende Angst, nicht dazuzugehören oder aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, wird dadurch beruhigt.

Das unbedingte Bedürfnis des Angenommen-Seins oder zu einer Gemeinschaft dazuzugehören, ist ein tief menschlich verwurzeltes Bedürfnis aus der “Mammut-Zeit”. Dazugehören zu einer Gruppe war unsere Sicherheit bei Angriff von anderen (oder des Mammuts). Gemeinsam ist man schliesslich stärker!

Dieses Grundbedürfnis ist so tief in uns verankert, daß es existenziell ist: Ein Baby MUSS zur Mutter gehören und sie mit allen Sinnen (körperlich/Geruch/tasten etc.) spüren (und so Zugang zu Nahrung und Sicherheit haben), ansonsten stirbt es.

Es geht – evolutionär gesehen – um Leben oder Tod.

Der älteste Teil unseres Gehirns (Hirnstamm) ist das sogenannte Reptiliengehirn. Es steht für angeborene Verhaltensmuster, die auf das primitive Überleben des Einzelnen und die Fortpflanzung der Spezies abzielen. Es agiert als Schaltzentrale für unbewusste, emotionslose, automatisierte Verhaltensweisen, die an das Verhalten von Reptilien erinnern. In Stresssituationen übernimmt das Reptiliengehirn die vollständige und teilweise lähmende Kontrolle über uns: Leben oder Tod.

Sei mein “Held”: Tief verwurzelt bei Frauen

Die Retter-Rolle findet sich in vielen Menschen wieder, doch sie ist oft besonders tief in Frauen verankert. Ein wichtiger Teil sind die gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbilder, die über viele Jahrhunderte Frauen in schwache, vom Mann abhängige, Positionen drängten – und nur noch die Rolle als Fürsorgerinnen projizierten. Von klein auf werden Mädchen meist erzogen, für andere da zu sein, zu sorgen, zu helfen und Unterstützung anzubieten. Natürlich uneigennützig.

Dies entwickelt sich im weiteren Leben zu einem starken Bedürfnis, ständig für andere da sein zu “wollen” – zu müssen (um angesehen zu werden) – und sie damit – auch oft ungefragt – zu “retten”. Alle anderen kommen als Erstes, und meist ist keinerlei Zeit mehr für einen selbst. Und oftmals wissen diese Menschen auch gar nicht, was sie mit “Zeit für sich” anfangen sollen. Sie sind stets auf “Hab acht”, in der Erwartung, für jemand anderen etwas tun zu können.

Das Bedürfnis zu helfen überschreibt die eigenen Bedürfnisse und geht über die eigenen Grenzen.

Glücklich sind sie meist nicht damit. Auch wenn sie es erst spät merken. Innere Unzufriedenheit, meist verdrängt – oder als körperliche Symptome spürbar, innerer Stress und Burnout – das sind meist die Anzeichen für den eigenen Raubbau.

“Droge” Retter-Rolle: Wenn Helfen zur Sucht wird

In der Position des Retters steckt eine gefährliche Tendenz zur Sucht. Man kann sich ja so schön in der Rolle des unabkömmlichen Helfers verlieren und vergessen, dass man selbst auch Bedürfnisse hat, die erfüllt werden müssen. Das Bedürfnis, gebraucht zu werden, das Streben nach Anerkennung und Bestätigung – wirkt wie eine Droge und kann zur nicht-stoffgebundenen Sucht ausarten. Meist unbewusst ist man ständig auf der Suche nach der nächsten “Hilfsbedürftigen” Person oder Situation.

Das geht soweit, daß Menschen geholfen wird, die gar keine Hilfe erfragt haben. Oder bei brenzligen Situationen springt man “wie die Feuerwehr” als edler Ri(e)tter in die Bresche.

Die Krux: Niemand dankt es. Und die Person, der man geholfen hat, ohne zu fragen, reagiert sogar oft unwirsch und meidet den Helfer zukünftig. Die Retter-Sucht ist deshalb tückisch, weil sie als etwas Positives wahrgenommen wird. Schließlich hilft man ja anderen. Wie kann das schlecht sein?

Was jedoch nicht realisiert oder gar reflektiert werden kann, ist, was man da eigentlich tut. Oberflächlich gesehen hilft man anderen. Auf einer tieferen Ebene aber überschreitet man Grenzen. Grenzen der anderen Menschen. Man “drängt” seine Hilfe quasi auf. Das ist grenzüberschreitend. Denn der andere Mensch würde (normalerweise) fragen, sollte er Unterstützung benötigen.

Was dann passiert: Tiefe Enttäuschung (= das Ende der Täuschung). Man hilft, und andere sind so undankbar. Scheinbar.

Wo vergisst Du selbst, Dir selbst zu helfen? Wo möchtest Du lieber nicht hinschauen? Wieso projiziert Dein System das Helfen auf andere?

Retter-Modus-im-Dramadreieck

Achtung Falle: Die Dynamik des Dramadreiecks

Die Rollen im Dramadreieck sind allesamt tückisch. Leicht tappt man in die Falle, als Retter ständig von einer Krisensituation zur nächsten zu springen, immer bereit, zu helfen. Aber was passiert, wenn es niemanden mehr zu retten gibt? Oder wenn die Hilfe nicht angenommen und auch nicht gewollt wird?

Dann kippt das Dramadreieck – und der Retter mutiert zum Täter. Er wird sauer und ungeniessbar, meckert an allem rum, sagt anderen, wie es “richtig” ist und boykottiert die Verbindung dadurch. Oder er wird zum Opfer. Er fühlt sich letztlich überfordert mit einem tiefen Gefühl des Ausgenutzt-Seins. Denn: die anderen danken es ihm ja nicht (so sein Gedanke und Gefühl).

EXIT Retter-Modus: Selbstfürsorge und Grenzen setzen

Um aus dem Rettermodus auszusteigen, ist es wichtig, sich seiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen bewusst zu werden. Was genau brauche ich, damit es mir gut geht? Ich arbeite gerne mit diesen Fragen:

  • WAS will ich wirklich?
  • Was WILL ich wirklich?
  • Was will ICH wirklich?
  • Was will ich WIRKLICH?

Selbstfürsorge ist hier der Schlüsselbegriff. Die Frage kannst Du ergänzen mit: Tut mir das gut?

Der Weg ist hier – metaphorisch gesprochen – auch wieder das Ziel. Denn natürlich kann jemand, der jahrelang im Retter-Modus agiert hat, nicht von heute auf Morgen aussteigen. Wie gesagt: Das Gebraucht-werden hat Suchtpotenzial, da tiefe Themen darunter liegen: Angenommen sein wie man ist (“ich bin ok.”). Diese Aufarbeitung braucht Zeit.

Aussteigen bedeutet: sich selbst wichtig zu nehmen. Der wichtigste Mensch in Deinem Leben bist schliesslich Du selbst. Das zu verinnerlichen und lernen die eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu setzen – also NEIN zu sagen – ist Tiefenarbeit.

Wenn Du magst, begleite ich Dich dabei sehr gerne. Online und hier vor Ort auf der Insel. Gerne sowohl als auch.

Herzlichst, Christine